In der SEO-Szene wird über E-E-A-T oft geredet, als sei es ein einfaches Projekt zum Selberbauen. Man braucht nur ein paar Bauteile – eine Autorenbox hier, ein Über-uns-Text da, vielleicht noch ein Zertifikat oder ein Interview – und schon steht das Ganze stabil in Googles Rankingwelt. Doch das Bild trügt.

E-E-A-T ist kein Regal von IKEA, mit einer Aufbauanleitung, einem Inbusschlüssel und wofür man ein bis zwei Stunden Zeit benötigt. Es ist kein Set mit klaren Anleitungen, das jeder mit etwas Geduld zusammenbauen kann. Es ist vielmehr ein komplexes System, das für viele kleine Seiten kaum greifbar ist.

Was ist E-E-A-T eigentlich?

Die Abkürzung E-E-A-T steht für:

  • Experience (Erfahrung)
  • Expertise (Fachwissen)
  • Authoritativeness (Autorität)
  • Trustworthiness (Vertrauenswürdigkeit)

Google verwendet dieses Konzept, um die Qualität von Inhalten einzuschätzen, insbesondere in Bereichen mit potenziellen Auswirkungen auf Gesundheit, Finanzen oder gesellschaftliche Themen, sogenannte „Your Money or Your Life“-Seiten (YMYL).

In der Theorie klingt das vernünftig, Inhalte von echten Experten sollen besser ranken. Webseiten mit glaubwürdiger Darstellung, transparenter Redaktion und sauberem Auftreten sollen bevorzugt werden. Doch wie immer zeigt die Praxis, dass es nicht ganz so läuft, wie Google und seine Influencer das gerne verkaufen.

Die Theorie: Jeder kann E-E-A-T umsetzen

Ein beliebtes Narrativ in der Branche lautet: Jeder kann E-E-A-T aufbauen, wenn er nur ein paar Dinge beachtet. Die Tipps klingen simpel:

  • Baue eine Autorenübersicht auf
  • Verlinke zu LinkedIn-Profilen
  • Nutze strukturierte Daten
  • Erstelle eine „Über uns“-Seite mit Mission Statement
  • Zeige externe Erwähnungen

In Blogbeiträgen und Newslettern wird E-E-A-T oft wie ein Werkzeugkasten dargestellt. Es heißt: Man muss nur die richtigen Hebel ziehen, dann funktioniert das schon.

Doch das stimmt nicht, nicht mehr. Zugegeben, schaden können diese Tipps natürlich nicht, aber sie haben nicht den versprochenen Effekt.

Die Realität: Wer keine Marke ist, bleibt draußen

Beispielsweise berichteten viele unabhängige News- und Special-Interest-Seiten im Frühjahr 2024 über einen Sichtbarkeitsverlust von über 50 Prozent – obwohl sie ihre Inhalte in gleichbleibender Qualität weiterführten. Besonders Seiten, die sich mit Nischenthemen beschäftigen oder keine Konzernstruktur im Rücken haben, verloren ihre Discover-Platzierungen oder wurden aus dem Index gedrängt. Solche Fälle sind kein Einzelfall, sondern Symptom eines strukturellen Problems.

Was Google unter „Erfahrung“ versteht, zeigt sich meist nicht an einem Text, sondern an dessen Kontext. Nur wer sichtbare Signale liefert, wird als relevant eingestuft:

  • Medienerwähnungen in großen Portalen
  • Backlinks von anerkannten Institutionen
  • Teilnahme an Konferenzen oder Studien
  • Erwähnungen auf Social Media von vertrauenswürdigen Quellen

Wer das nicht hat, spielt auf Zeit. Kleine Seiten, Blogs oder unabhängige Redaktionen ohne große Reichweite oder Budgets können diese Signale kaum liefernund verlieren damit an Sichtbarkeit, egal, wie gut ihre Inhalte sind.

Besonders seit den Core-Updates 2023 und 2024 hat sich dieser Effekt verstärkt. Viele unabhängige Webseiten berichten von massiven Sichtbarkeitsverlusten, obwohl sich an ihren Inhalten nichts verschlechtert hat. Google zieht sich dabei auf formale Argumente zurück: fehlende Autorensignale, unzureichende Verlinkungen, mangelhafte Reputation. Doch all das ist für kleinere Seiten strukturell kaum erreichbar.

Ein weiterer Punkt, der häufig verharmlost wird: Externer Linkaufbau ist alles andere als einfach. Gerade unabhängige Projekte, die keine Produkte verkaufen oder keine bestehende Marke im Rücken haben, tun sich extrem schwer, echte und relevante Backlinks aufzubauen. Gastbeiträge sind überlaufen, redaktionelle Verlinkungen sind meist großen Medien oder Agenturnetzwerken vorbehalten. Und Linkkauf ist nicht nur teuer, sondern riskant, besonders für kleine Seiten. Wer ernsthaft Sichtbarkeit aufbauen will, kann nicht einfach ein paar E-Mails schreiben und auf „natürliche“ Backlinks hoffen. Auch das ist eine Illusion.

Die Fassade reicht nicht

Eine schöne Autorenbox reicht nicht. Ein professionelles Theme auch nicht. Wer heute E-E-A-T ausstrahlen will, muss mehr bieten als Selbstdarstellung. Google will echte Bestätigung von außen. Nicht, was du über dich sagst, sondern was andere über dich sagen.

Und genau da liegt das Problem. Wer keine PR-Abteilung hat, keine Brand-Kampagnen fährt und nicht Teil eines Netzwerkes ist, kommt schlicht nicht vor. Weder in den Medien noch in den Erwähnungen, noch in den Daten von Google.

Die SEO-Szene verharmlost das

Google selbst kommuniziert selten klar, was genau unter E-E-A-T fällt. Die offiziellen Dokumentationen wie die Search Quality Evaluator Guidelines enthalten viele abstrakte Begriffe, doch kaum konkrete Anhaltspunkte, wie man diese Signale aufbauen oder verbessern kann. Gleichzeitig sind Aussagen von Google-Mitarbeitenden in Foren oder Interviews häufig vage oder widersprüchlich. Das schützt vor allem eines: das bestehende System. Wer Ressourcen hat, bleibt oben. Wer improvisieren muss, fällt raus.

Statt Klartext zu reden, beschäftigt sich ein Teil der SEO-Szene weiter mit Schema-Markup, interner Verlinkung und der perfekten Überschrift. Das hat seinen Platz. Aber es ersetzt nicht die strukturelle Ungleichheit, die Google geschaffen hat. Wenn in Newslettern behauptet wird, man müsse nur seine Expertise klarer darstellen, dann ist das zynisch. Viele Webseiten haben Expertise. Aber sie haben keine Plattform. Und das ist, was E-E-A-T heute bedeutet: Wer keine Plattform hat, verliert.

E-E-A-T ist eben kein Werkzeugkasten, keine Checkliste, kein Möbelstück aus Schweden. Es ist ein strukturelles Bewertungssystem, das große Marken bevorzugt und kleinere Anbieter unter Druck setzt. Es ist wichtig, das zu verstehen und technisch korrekt umzusetzen. Aber es ist ebenso wichtig, ehrlich zu benennen, was es wirklich bedeutet:

  • Ohne Autorität von außen bringt dir deine interne Darstellung wenig
  • Ohne Reichweite wird deine Expertise nicht gesehen
  • Ohne Systemkritik wird sich nichts ändern

Ansonsten verliert man sich in einer Optimierung, die einen gerne vergessen lässt, was man eigentlich mit seiner Webseite bezwecken möchte.

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