Richard Gingras gehört zu den prägendsten Figuren der digitalen Medienwelt, fast zwei Jahrzehnte lang steuerte er als Head of News Googles Umgang mit journalistischen Inhalten, später blieb er als informeller Berater dabei. Heute sitzt er als Chairman bei Village Media, einem Verlag, den Google gerne als Vorzeigeprojekt präsentiert, wenn es um politische Rechtfertigungen gegenüber Regierungen oder Regulierern geht. Die Rollenwechsel zwischen Tech-Architekt, Förderer und Interessenvertreter haben Gingras zu einer der widersprüchlichsten Personen der weltweiten Medienpolitik gemacht.

Seit Jahren bewegt er sich zwischen Förderung und Zerstörung. Er unterstützte Journalismus finanziell, während er gleichzeitig die Infrastruktur mitgestaltet hat, die Nachrichtenhäuser wirtschaftlich ausbluten lässt. Nun hat er sich öffentlich dazu geäußert, was journalistische Arbeit in Googles Ökosystem eigentlich wert ist.

Seriöse Nachrichten haben keinen Wert

Bei einer Veranstaltung des International Center for Journalists trat Gingras noch als Unterstützer auf. Kurz danach sagte er im Podcast Future Media, seriöse Nachrichten hätten „keinen Wert für Konsumenten“ und der ökonomische Wert einer News-Suchanfrage liege „bei null“.

Für einen Mann, der zwei Jahrzehnte lang maßgeblich bestimmt hat, wie Menschen weltweit Nachrichten konsumieren, ist das keine beiläufige Bemerkung. Es ist eine programmatische Aussage. Gingras bewertet journalistische Arbeit ausschließlich danach, wie gut sie sich in Googles Werbemonopol monetarisieren lässt. Da Nachrichten in diesem System traditionell schlecht verdienen, erklärt er sie kurzerhand zu wertlosen Gütern.

Ein verschobenes Verantwortungsgefühl

Die Journalistin Natalia Antelava von Coda Story stellte Gingras kürzlich genau dazu zur Rede. Sie warf ihm vor, dass Google eine zentrale Mitschuld am ökonomischen Zerfall der Nachrichtenbranche trägt. Als Gingras unpräzise von einem nebulösen „wir“ sprach, machte sie klar, dass Google sich längst als Schiedsrichter über den ökonomischen Wert journalistischer Arbeit aufspielt und damit auch darüber, wie viel Geld Medienhäuser verdienen dürfen.

Gingras wurde gefragt, was er rückblickend als größten Fehler seiner Google-Zeit ansieht. Seine Antwort war, das Google News Initiative-Programm. Über acht Jahre habe Google „mehr als eine Milliarde Dollar“ für Innovation im Journalismus ausgegeben.

Eine Milliarde klingt beeindruckend, wird aber sofort relativiert, denn im gleichen Zeitraum erzielte Google rund zwei Billionen US-Dollar Umsatz. Das vermeintliche Förderprogramm entspricht also weniger als einem Zehntausendstel des Gesamtumsatzes und konnte den angerichteten Schaden nicht annähernd kompensieren. Trotzdem wird dieser Betrag regelmäßig als Beweis für Googles Großzügigkeit präsentiert.

KI zeigt, wie wertvoll Journalismus wirklich ist

Während Gingras behauptet, Nachrichten seien ökonomisch wertlos, demonstriert die KI-Industrie gerade das Gegenteil. Die leistungsfähigsten Large Language Models wurden überwiegend mit professionell produziertem Content trainiert, also recherchierten Nachrichten, faktengeprüften Analysen, wissenschaftlichen Publikationen und Archivmaterial. Genau jene Inhalte also, die Intelligenz, Kontext, Präzision und Aktualität vermitteln.

Memes und Social-Media-Posts machen kein Modell intelligent. Die Qualität heutiger KI stammt aus journalistischer und redaktioneller Arbeit – teuer, zeitintensiv und hochwertig.

Die Gerichte beginnen, den tatsächlichen Wert dieser Inhalte auch zu benennen:

Thomson Reuters vs. Ross: KI-Training benötigt Lizenzen.
Kadrey vs. Meta: Meta nutzte piratisierte Bücher im Training.
Penske Media vs. Google: Vorwurf, Google ersetze Nachrichten mit KI-Overviews und schneide Publisher vom Traffic ab.
US vs. Google: Offenlegung, dass Meta für Zugang zu Googles Publisher-Crawling zahlt.

Diese Fälle zeigen, dass die Tech-Konzerne genau wissen, wie wertvoll journalistischer Content ist. Sie möchten nur weiterhin vermeiden, dafür bezahlen zu müssen.

Contendiebstahl für den eigenen Profit

Wenn KI Antworten liefert, die aus hochwertigem Content generiert wurden, ohne Nutzer zur Originalquelle zu leiten, kippt das gesamte Geschäftsmodell der Medienbranche. Werbeumsätze brechen weg, Abonnements erodieren, und Lizenzeinnahmen bleiben aus. Plattformen extrahieren den gesamten wirtschaftlichen Wert, bevor Publisher auch nur die Chance haben, daran zu verdienen.

Das hat nichts mit Innovation zu tun. Es ist ein klassisches Muster der Wertabschöpfung und langfristig ein Todesurteil für viele Medienhäuser.

Die Wahrheit, die das Valley ungern ausspricht

Hochwertiger Content ist:

  • selten
  • teuer
  • langsam zu produzieren
  • rechtlich geschützt
  • und unverzichtbar für KI

Publisher besitzen die wichtigste Ressource des digitalen Zeitalters. Viele realisieren das nur nicht konsequent.

Was sich jetzt dringend ändern muss

  • Keine kostenlose Nutzung mehr.
  • Kein Training, Crawling oder Grounding ohne klare, vergütete Lizenz.
  • Keine unsichtbare Substitution.
  • KI-Systeme dürfen journalistische Arbeit nicht ersetzen, ohne ihren Wert abzubilden.
  • Lizenzen müssen Standard werden.
  • Frühe Deals setzen den Preisanker und bestimmen die Spielregeln für alle nachfolgenden Verhandlungen.

Gingras liegt falsch und die KI-Industrie beweist es täglich

Gingras kann behaupten, Nachrichten hätten keinen Wert. Die Realität widerspricht ihm, ohne hochwertigen Content verlieren KI-Modelle ihre Qualität, ihre Glaubwürdigkeit und ihren Bezug zur Realität. Premium-Content ist die essenzielle Ressource des KI-Zeitalters. Wer ihn produziert, hat jetzt die stärkste Verhandlungsposition seit vielen Jahren.

Die einzige Frage ist, ob die Branche sie endlich nutzt, oder weiter zulässt, dass ihre teuerste Ware verschenkt wird.

Über den Autor

Michael Ziegler
Michael Ziegler arbeitet seit mehr als 15 Jahren als SEO und Marketer, seit 2019 betreibt er die Agentur Shihan Media. Außerdem ist er Gründer von Sumikai, einem auf Japan spezialisierten Magazin, und Podcaster bei Rolling Sushi.
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